Entdeckungen über das Malen

 „Die Malkunst gehört den Künstlern. Das Malspiel gehört der ganzen Welt.“ (Arno Stern)

Arno Stern

Kunstpädagoge und Anthropologe,  1924 - 2024 

Bei Arno Stern lernte ich alles über das kindliche Malen und die Bedeutung des Malspiels .

Wegen seiner jüdischen Herkunft floh Stern 1933 als Kind zusammen mit seinen Eltern vor den Nazis nach Frankreich. Zwischen 1942 und 1946 befand sich die Familie Stern auf der Flucht. Stationen waren die Schweiz und Spanien. Erst nach Kriegsende kehrte sie staatenlos nach Frankreich zurück. 

Arbeit im Waisenhaus

Mit 22 Jahren bekam Arno Stern die Aufgabe, Kriegswaisen in einem Pariser Kinderheim zu beschäftigen und ließ sie malen. Der Platz am Tisch wurde mit der Zeit immer enger. So schloss man die Fenster und die Kinder malten im Stehen an den Wänden. In diesem geschlossenen Raum, in dem sich kein Erwachsener in das Spiel der Kinder einmischte, entdeckte Arno Stern durch genaue Beobachtung einen frei von Versagensängsten und im Selbstempfinden besonderen Ausdruck. In den Bildern dieser Kinder sah er immer wieder kehrende Elemente.

Malort in Paris

1950 bezog Stern im Pariser Künstlerviertel St. Germain ein Atelier, das er Malort nannte. Hier sollten  die nächsten Jahrzehnte lang Kinder und Erwachsene in altersgemischten Gruppen regelmäßig unter eigens für das Malspiel geschaffenen Bedingungen malen, die exakt den durch Zufall entstandenen, geschlossenen Raum im Waisenhaus entsprachen. 

Entdeckungen

Alle im Laufe der Jahre von Stern archivierten Bilder zeigten die selben “Grundformen”, wie z.B. Gräten- und Strahlenfiguren bei kleinen Kindern, bei größeren Kindern in “Bilddinge” wie z.B. Eisenbahnschienen und Sonne eingekleidet. Auch in den Bildern der Erwachsenen tauchten diese Figuren in geradezu ekstatischen, nicht gegenständlichen Äußerungen auf. Arno Stern erfand dafür den Begriff “Formulation”.

Forschungsreisen 

In den 1960er Jahren wollte Arno Stern erforschen, ob die Formulation ausschließlich ein Phänomen unserer Industrienationen war oder auch bei Urwald- und Wüstenbewohnern auftrat, die nie in ihrem Leben eine Schule besucht hatten. Er begann mit zahlreichen, abenteuerlichen Forschungsreisen in die entlegensten Regionen der Welt, zu Nomaden und Busch- und Bergvölkern in Niger, den Anden, der Wüste von Afghanistan und anderen Ländern. 

Das bildnerische Alphabet 

Diese Reisen brachten erstaunliche, neue Erkenntnisse:

Die Menschen, die noch nie zuvor in ihrem Leben einen Stift oder einen Pinsel in der Hand gehalten hatten, malten mittels Sterns mühsam transportierten Materialien an lehmigen Hüttenwänden und auf unebnem Boden alle dieselben Gräten- oder Strahlengebilde wie die Kinder in Paris, und viele andere Figuren, die auf der Welt gleich waren.

Bedeutung für uns

Damit konnte Stern beweisen, dass jedem Menschen weltweit, egal welcher Herkunft und Bildung er ist, dieselbe “bildnerische Ursprache” innewohnt. Stern nennt dies eine "organische Erinnerung".  Und wir alle haben das unbewusste Bedürfnis, diese Formen, von denen Stern 70 herausfiltern konnte, zu malen. Schon die kleinsten Kindern fangen damit an, aber wir Erwachsene mischen uns meist in dieses Spiel ein.  Im Laufe des Lebens verlernen wir dann diese spontane Äußerung.

Malspiel

Im Malspiel können wir wieder zu diesen Formen zurückfinden, indem wir erlebnisorientiert malen, ohne an ein Ergebnis oder gar einen Empfänger zu denken. Durch die Altersgemischtheit der Gruppe kommt kein Konkurrenzdenken oder gegenseitiges Vergleichen auf. Das ist sehr befreiend. Jeder einzelne kann hier seine Einzigartigkeit spüren. Dieses stärkende Gefühl nimmt er mit nach draußen.

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Texte: Ulla Wohlgeschaffen / Fotos: Mareen Fischinger www.mareenfischinger.com  / Bilder von Arno Stern mit freundl. Genehm. von Arno Stern im Jahr 2016

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